Vorwort

Eigentlich wollte ich im Urlaub ganz seriös im Café, Zug oder in der Hotellobby an etwas arbeiten.
Schon im Vorfeld hatte ich meinem Personaltrainer Hannes davon erzählt – und er fand die Vorstellung komisch, weil es etwas von einem Drehbuchautor hat: Ich, allein am Tisch, Kaffee neben mir, der Blick ernst auf den Bildschirm gerichtet, während irgendwo im Hintergrund die Welt untergeht.

Und so saß ich tatsächlich im Café, bestellte Kaffee, öffnete den Laptop… und schrieb – ganz ohne Plan – die ersten Zeilen einer Geschichte über Hannes.
Aus einem kleinen Spaß wurden zehn Kapitel voller Schulterrotationen, Blaubeer-Geschmack, Satelliten-Kadavern und einer drohenden Gefahr aus dem All.

Meinen eigentlichen Urlaub im September konnte ich aus gesundheitlichen Gründen leider nicht antreten.
Doch genau dadurch hatte ich die Zeit, dieses kleine Projekt aus meinem Kurzurlaub abzuschließen.

Es hat mich beim Schreiben herrlich amüsiert – und jetzt hoffe ich, dass ihr beim Lesen genauso viel Freude habt wie ich beim Tippen.

Kapitel 1 – Der unsichtbare Feind

Die Seilzüge quietschten leise, als Hannes den Griff mit gleichmäßigem Rhythmus nach unten zog. Schweiß perlte über seine Stirn, tropfte auf den schwarzen Gummiboden. Alles an diesem Morgen roch nach Routine: Kreidepulver in der Luft, das dumpfe Klirren von Hanteln, das leise Summen der Klimaanlage.

Weit über den Wolken schoss ein glühender Felsbrocken mit unfassbarer Geschwindigkeit auf die Erde zu – verborgen hinter dem metallenen Kadaver eines längst vergessenen Wettersatelliten. Noch registrierten ihn nur stumme Messgeräte in einem Kontrollzentrum, das vor wenigen Stunden wegen eines Softwarefehlers in den Standby-Modus gegangen war.

Hannes spürte nichts davon. Er fixierte seinen Blick im Spiegel, kontrollierte jede Nuance seiner Schulterrotation, als würde das Universum selbst an der Präzision seiner Bewegung hängen.

„Sauberer Zug“, murmelte er zu sich selbst und spürte, wie sich der Trapezmuskel straffte. Was er nicht ahnte: Jede Wiederholung war ein unbewusster Schlüssel zu einer Kraft, die kein Mensch je zuvor entfesselt hatte.

In wenigen Stunden würde der Satellit verrutschen, der Himmel über Frankfurt ein flackerndes Lichtband zeigen – und Hannes vor eine Herrausvorderung stellen, für die kein Trainingsplan der Welt je vorgesehen war.

Kapitel 2 – Der Durst des Champions

Die Seilzüge knarrten ein letztes Mal, als Hannes den Griff zurückgleiten ließ. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, doch in seiner Kehle brannte ein trockenes, gnadenloses Verlangen. Kein Hunger nach Essen, kein Hunger nach Sieg – es war der Durst nach etwas Bestimmtem.

Blaubeere. Sprudelnd. Eisgekühlt.

Mit dem entschlossenen Blick eines Mannes, der weiß, wofür er lebt, ging er zur Getränkestation. Das Display leuchtete verheißungsvoll, als er mit einer fast feierlichen Geste die Auswahl berührte. Erst das Wasser: eiskaltes, perlendes Lebenselixier. Dann – der krönende Moment – das Topping.

Er drückte.
Wartete.
Und starrte auf die gnadenlose Anzeige: „Blaubeer-Flavor: nicht verfügbar.“

Es war nicht das erste Mal. Doch heute, nach all den perfekten Schulterrotationen, traf es ihn wie ein Schlag ins Zwerchfell. Ohne Blaubeere… wie sollte er weitertrainieren? Seine Muskeln zu königlicher Exzellenz schleifen?

Ein Krampf schoss ihm in den Unterarm, seine Hand umklammerte die Trinkflasche, als wollte sie den Schmerz der Enttäuschung mitertragen. Für einen winzigen Augenblick fürchtete er, das Plastik zu zerquetschen – die ultimative Materialprobe.

Aber Hannes war mehr als Muskeln. Er war Disziplin. Kontrolle. Ein Meister darin, Sturm in seinem Inneren wie stilles Wasser aussehen zu lassen.

Statt zu schreien, lächelte er. Ein kleines, tapferes Lächeln.

Morgen, dachte er, morgen ist die Blaubeere wieder da.

Doch er wusste nicht, dass das Morgen selbst in größerer Gefahr war als je zuvor.

Kapitel 3 – Der Mann aus Offenbach

Während Hannes im Frankfurter Fitnessstudio heldenhaft den Mangel an Blaubeer-Flavor ertrug, saß im fernen Offenbach – also nur wenige S-Bahn-Minuten entfernt – ein Mann mit gerunzelter Stirn vor einer Monitorkonsole. Ingo Ingenieur, Ingenieur von Beruf, trug das Gesicht eines Mannes, der schon viel zu lange mit demselben Problem lebte: dem Kadaver eines defekten Satelliten, der seit Monaten stumm am Himmel trieb.

Für Ingo Ingenieur war dieser tote Satellit nicht nur ein Stück Weltraumschrott – er war eine offene Rechnung. Ein Puzzle, das er nicht lösen konnte, ohne fremde Hilfe zu holen. Und genau diese Hilfe wollte er nicht von Elon Musk erbitten, dem Mann, der gefühlt alle anderen Satelliten der Erde besaß.

Nicht, dass Ingo Ingenieur Angst vor Musk hatte. Nun ja… vielleicht ein bisschen. Es war weniger die Technik, sondern die soziale Hürde.
Wie fängt man Smalltalk mit Elon Musk an?
Fragen nach Frau und Kindern? Bei Musk war das wie russisches Roulette: Man wusste nie, welche Kinder für ihn gerade noch existieren und wie ihre Namen buchstabiert wurden. Die Zeichenketten waren komplexer als ein Passwort für die Bank. Das Risiko, sie falsch auszusprechen und dafür ein überhebliches, knochentrockenes Lachen zu kassieren, war Ingo Ingenieur schlicht zu hoch.

Und so blieb Ingo Ingenieur allein.
Nur er, der tote Satellit und die leise Hoffnung, ihn ohne fremde Hilfe zu reaktivieren. Ingo Ingenieur war überzeugt: Der Schlüssel lag in einem einzelnen, präzisen Impuls.
Ein Impuls, der den Kadaver wieder ins Leben reißen würde – und von dem er nicht ahnte, dass er den Blick der Welt schon bald auf den glühenden Boten des Untergangs lenken würde.

Kapitel 4 – Das vergessene Kind des Himmels

Der Kadaver des Satelliten war nicht immer als Kadaver unterwegs. Es gab eine Zeit, in der er Hoffnung war – und ein Symbol.

Hoffnung für modernste Wettervorhersagen.
Die Vision, mit numerischer Präzision so schnell und exakt zu rechnen, dass selbst der Flügelschlag eines Schmetterlings in Buenos Aires in der morgendlichen Wetterprognose von Offenbach berücksichtigt werden konnte.
Ein Symbol für das, was die Menschheit erreichen konnte, wenn sie sich einmal nicht mit sich selbst beschäftigte.

Denn dieser Satellit war kein Werk eines einzelnen Landes. Er war ein Gemeinschaftsprojekt. Gebaut in stiller, fast zögerlicher Zusammenarbeit von Russland, den USA, China, Europa – und ja, Indien und Afrika durften auch mitreden. Unter wehenden Flaggen aller Nationen, bunt wie ein Regenbogen, wurde er in den Himmel entlassen.
Damals stand man Schulter an Schulter, lächelte in Kameras, sprach von „einer neuen Ära der globalen Zusammenarbeit“.

Doch dann passierte das, was immer passierte:
Irgendjemand postete etwas.
Jemand anderes sagte etwas über diesen Jemand.
Einem Dritten gefiel das nicht, und ein Vierter mischte sich ein. Große Überschriften folgten, zuerst in den sozialen Medien, dann in den Zeitungen, und schließlich landeten alle Beteiligten in Talkshows.
Dort diskutierten sie nicht über Satelliten, sondern über das, was der eine gesagt und der andere nicht gut gefunden hatte, und was ein Dritter darüber meinte.

So verblasste die Erinnerung an das gemeinschaftliche Meisterwerk.
Der Satellit lieferte weiter Daten – viel zu viele Daten, als dass irgendjemand sie in endlicher Zeit hätte verarbeiten können.
Die Zahlen strömten herab wie Regen, der in der Wüste verdunstet, bevor er den Boden erreicht.

Und so wurde der einstige Hoffnungsträger vergessen.
Langsam, fast unmerklich, verwandelte er sich in das, was er heute war: ein Kadaver.
Ein Kadaver, wie auch das Bündnis, das ihn einst mit Stolz in den Himmel getragen hatte.

Kapitel 5 – Schweiß und Spurensuche

Hannes saß auf der Bank, die Trinkflasche in der Hand, und blickte auf das Wasser, als könnte es ihm verraten, wann die Blaubeere zurückkehren würde. Lustlos nahm er einen Schluck, während sein Blick irgendwo zwischen Boden und Wand verharrte.

Die Tür öffnete sich, und Hannelore Handeltstark trat ein. Von Beruf Designerin von Defibrillatoren – ein Job, den sie stets mit einer Mischung aus Stolz und Ironie beschrieb. Heute hatte sie eine Trainingseinheit bei Hannes gebucht.

Sie bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Hannes, sonst immer strahlend, wirkte… abwesend. Noch ein Schritt, und er sah sie – und dann war das traurige, blaubeerlose Leuchten in seinen Augen verschwunden. Stattdessen schenkte er ihr sein typisches, warmes Lächeln. Die Blaubeere war vergessen. Jetzt stand Hannelore im Mittelpunkt.

„Ach Hannes,“ begann sie, während sie ihre Sporttasche abstellte, „die oberflächliche Gehässigkeit in der Defibrillator-Designer-Community macht mich fertig.“
Hannes hob eine Augenbraue, schwieg und ließ sie weitersprechen.
„Sag mal… was kann man eigentlich gegen kleine Fettpolster hier und da machen?“

Er zuckte die Achseln. „Hast du da Schmerzen oder irgendwie körperliche Einschränkungen?“
Sie zögerte. „Nein… eigentlich nicht.“
Hannes lächelte kurz und zuckte noch einmal die Schultern. „Dann lass uns lieber dafür sorgen, dass dein Rücken stark bleibt und deine Knie auch. Fitness ist vor allem da, um gesund zu bleiben – nicht um Oberflächlichkeiten zu füttern.“

Hannelore nickte anerkennend, auch wenn die bissigen Kommentare ihrer Kollegen noch im Hinterkopf hingen. Doch sobald sie mit Hannes’ Übungen begann, blieb dafür kein Platz mehr in ihren Gedanken. Die Gewichte, die Bewegungen, der Rhythmus – alles beanspruchte sie komplett.

Nachdem das Training beendet war, verabschiedete sich Hannelore erschöpft, aber erleichtert. Später, unter der Dusche, spürte sie, wie die klaren Gedanken zurückkehrten.
Hannes blieb noch einen Moment allein im Studio, das Handtuch um den Hals, und lächelte. Genau dafür lebte er – Menschen wieder auf die Spur zu bringen. Durch Schweiß, durch Arbeit, durch den Blick nach vorn.

Kapitel 6 – Herzschlag im Orbit

Mit einem genervten Schnauben fegte Ingo Ingenieur den Haufen zerknitterter Notizen vom Tisch. Wochen voller Skizzen, Schaltpläne und Formeln – alles für die Katz. Keine davon brachte den toten Satelliten auch nur einen Millimeter näher an ein Lebenszeichen.

Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, griff zum Handy und begann zu scrollen. Vielleicht würde ein bisschen digitaler Müll seinen Kopf frei machen.
Katzenvideos. Politisch aufgeladene Memes. Werbung für vegane Mayonnaise. Noch mehr Katzenvideos.

Und dann – blieb er hängen.

Ein Selfie. Verschwitzt, strahlend, hochgebundene Haare mit ein paar grauen Strähnen. Darunter der Satz:

„Manchmal reicht ein gezielter Impuls, um alles wieder in Gang zu bringen.“

Der Algorithmus hatte entschieden, dass das für ihn relevant war. Er tippte auf den Namen: Hannelore Handeltstark – Designerin für Defibrillatoren. Auf ihrem Profil fand er Bilder von Versuchsaufbauten, bei denen winzige, millisekundengenaue Zündungen mechanische Systeme wieder in Bewegung brachten.

Da klickte es.

Kein Stromkabel. Keine teuren Reparatursatelliten. Stattdessen: gezielte Mikrodetonationen in unmittelbarer Nähe des Kadavers. Jede Explosion wie ein Herzschlag, der den Satelliten sanft, aber bestimmt aus seiner Starre rüttelte.

Ingo Ingenieur riss ein frisches Blatt aus dem Block und begann zu skizzieren. Eine Steuerkonsole, ein präzises Zündmodul, ein Schwarm winziger Sprengkapseln. Stunden später stand auf seinem Werkbankprototypen in krakeliger Schrift: „Herzschlaggeber“.

Er funktionierte – theoretisch. Nur das Handling war eine Katastrophe.
Aber das würde er später lösen. Jetzt hatte er endlich einen Plan.

Kapitel 7 – Rückkehr ins Licht

Seit Jahren schwebte er – der Stolz eines Bündnisses aller Nationen – als riesiger Kadaver durch das All. Kalt und im Dunkeln, nicht mehr fähig zu navigieren, Daten zu empfangen oder zu senden. Vergessen von der Welt, blickte er auf sie herab und umkreiste sie in stiller, verlassener Einsamkeit.

Einst war er ein Gigant unter der von Menschen erbauten Technik. Heute: ein nutzloser, veralteter Koloss. Eine Idee von gestern, so verwittert wie das Bündnis, das ihn einst in gemeinsamer Hoffnung erschaffen und hinausgeschickt hatte. Das vergessene Symbol von Einigkeit und friedlicher Zusammenarbeit.

Doch plötzlich störte etwas die Kälte in seinem Rücken. Licht. Wärme. Aber nicht von der Sonne – die lag weit voraus. Es war etwas anderes. Eine neue, fremde Aufmerksamkeit. Bekam er nun endlich wieder die Beachtung, die er einst verdient hatte?

Auf der Erde blinkten plötzlich Warnlichter in Kontrollzentren auf. Der Feind aus dem All war gesichtet worden. Nur wenige Stunden blieben. Und jedem war klar: Wenn sie nichts unternahmen, war es das mit der Erde, wie sie sie kannten. Kein Pfandsammeln, kein Abgeben mehr – nichts würde bleiben, wie es war. Vielleicht… auch kein Leben.

Alte, verstaubte Telefonleitungen knisterten wieder. Netzwerke aus längst vergessenen Bündnissen wurden reaktiviert, um eine Antwort auf die drohende Katastrophe zu finden. In stickigen, fensterlosen Räumen suchten Generäle, Minister und Wissenschaftler nach einem Plan, der mehr sein musste als nur ein letzter Funken Hoffnung.

Schon bald wurde klar: Wollten sie überhaupt eine Chance haben, mussten alle Länder gemeinsam handeln. Jede Nation, jede Armee, jeder noch funktionsfähige Sprengkopf – alles musste eingesetzt werden, um diesen einen, heranrasenden Feind aufzuhalten. Nicht nur für die Erde. Nicht nur für die Menschheit. Sondern, wie es in einem nüchternen Lagebericht hieß, „zur Verteidigung des Dosenpfands“.

Kapitel 8 – Schultern gegen den Himmel

Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz: Ein Asteroid, groß wie eine Stadt, raste auf die Erde zu. Satellitenbilder und Diagramme gingen um die Welt. Politiker riefen nach Einigkeit, Generäle nach Sprengkörpern. Die Lösung der Weltgemeinschaft: alle verbliebenen Raketen bündeln und hoffen. Hoffen auf das Leben – und auf das Dosenpfand.

Während überall hektisch gerechnet wurde, saß Ingo Ingenieur in seinem Labor. Vor ihm stand sein Werk – Monate an Grübeleien, Skizzen und Kaffeeflecken, und dann nur zwei Stunden Bauzeit. Der Prototyp: ein Defibrillator für den toten Wettersatelliten. Die Mechanik war präzise, robust – und in der Praxis nahezu unbedienbar. Zwei massive Hebel, 1,20 Meter voneinander entfernt, mussten gleichzeitig und im exakt gleichen Takt nach unten gedrückt werden.

Er griff zum Telefon. „Hannelore? Ich brauche deine Hilfe.“

Minuten später war ihre Stimme im Raum, klar und fest: „Dann zeig’s mir, Ingo. Aber nicht mir allein – wir zeigen es der ganzen Welt.“

Sie gingen sofort live auf Instagram. Millionen schauten zu, wie Ingo erklärte, dass sein Prototyp die Sprengladungen synchronisieren könnte – die einzige Chance, den Satelliten wieder in Bewegung zu bringen. Doch beim entscheidenden Punkt, der Bedienung, stockte er.

Hannelore lächelte leicht. „Zwei Hebel, immer im gleichen Takt… dafür brauchen wir keine Maschine.“ Sie wandte sich an die Kamera, als würde sie mit jedem einzelnen Menschen sprechen:

„Wir brauchen Hannes.“

Kapitel 8 – Rotation der Rettung

Hannelore Handeltstark hatte schon viele Anrufe getätigt, aber selten mit so viel Dringlichkeit.
Ihr Blick flog über die App, ihre Finger tippten in präzisen, kurzen Bewegungen. „Hannes?“, ihre Stimme vibrierte vor Eile, „zieh dir was an, wir müssen nach Offenbach.“

Am anderen Ende der Leitung hörte man nur ein leises Zischen – der Sound einer Sportflasche, die gerade von einem durstigen Champion geöffnet wurde.
„Offenbach?“, fragte Hannes und spürte, wie sich ein leichter Schauer zwischen den Schulterblättern breit machte.
„Ja. Ingo Ingenieur braucht uns. Sofort.“

Der Plan war simpel: S-Bahn bis Offenbach Marktplatz, dann zu Fuß zum Labor. Der Plan scheiterte nach exakt zwei Haltestellen – die jährliche Tunnelsperrung. Statt rollender Gleise gab es nun rumpelnde Busse des Schienenersatzverkehrs, überfüllt mit Pendlern, Kinderwagen und einer einzigen Frau, die ununterbrochen über Lautsprechertelefon konferierte.
Mit nur dreißig Minuten Verspätung stolperten sie schließlich vor das unscheinbare Gebäude des Deutschen Wetterdienstes.

Hannes war erschöpft. Sein Training am Morgen hatte ihm die Kraft aus den Armen gezogen, und die stickige Busfahrt hatte den Rest erledigt. Er war kurz davor, den Rückzug anzutreten – bis er im Labor etwas sah.
Dort, mitten zwischen Kabeln, blinkenden Konsolen und Ingo Ingenieurs dunklen Augenringen, stand ein Wasserspender. Nicht irgendein Wasserspender. Sprudelwasser. Mit Blaubeerflavour. Eisgekühlt.

Das Brennen in seiner Kehle war schlagartig zurück. Er griff zum Becher, nahm einen langen, perlenden Schluck – und wusste: Er konnte es tun.

Ingo Ingenieur winkte sie zu der Maschine heran. Das Wort „kompliziert“ war untertrieben. Vor ihnen stand ein Konstrukt aus Kabeln, Schaltern, blinkenden Anzeigen – und zwei massiven Hebeln, die so weit auseinanderstanden, dass sie nur gleichzeitig mit beiden Armen bedient werden konnten. „Die Bewegung muss synchron laufen, exakt im gleichen Takt – sonst bricht der Prozess ab“, erklärte Ingo.

Für viele wäre das das Ende gewesen. Für Hannes war es nur Dienstag.
Er stellte sich hin, atmete tief ein und spannte die Schultern. Dann setzte er beide Arme in Bewegung: langsam, kontrolliert, in perfekter, spiegelgleicher Rotation. Die Präzision war makellos – jede Mikrobewegung synchron, als hätte er sein Leben lang nur darauf trainiert.

Ein tiefes, metallisches Surren durchzog den Raum. Anzeigen sprangen an. Irgendwo im All, unsichtbar für sie, flackerte ein Licht am toten Satelliten auf.

Hannelore sah zu Ingo. „Das funktioniert.“
Ingo nickte, doch sein Blick blieb ernst. „Ja. Aber wir haben nur diesen einen Versuch.“

Kapitel 10 – Der letzte Impuls

Die Bomben explodierten in absolut gleichmäßigen zeitlichen Abständen, genau so, wie Hannes es über seine perfekten Schulterrotationen steuerte. Schweiß rann ihm am Arm herab, doch er hielt durch – beflügelt vom Geschmack der Blaubeere auf seiner Zunge.

Währenddessen fragten sich fast alle Regierungschefs, warum sie überhaupt zugestimmt hatten. Wäre es nicht doch klüger gewesen, den Asteroiden direkt zu befeuern? Und wer hatte eigentlich entschieden, es nicht zu tun?
Es war Taylor Swift – mit anmutiger Kraft der Vorahnung. Und so vertrauten die Regierungschefs dank Taylor ebenso in die Schulterrotationen von Hannes.

Die andauernden Explosionen am Satelliten rüttelten dessen Kadaver durch. Lang vermisste, verklebte Werkteile lösten sich, verschoben sich, wurden wieder an ihren Platz gedrückt. Die ersten drei Explosionen blieben ohne Effekt – doch die vierte brachte einen Funken. Ein kleiner Datenausschlag. Zwei Impulslinien, jahrelang tot und verstaubt, zeigten wieder Leben: eine Ausschlag nach oben, die andere nach unten. Mit jeder weiteren Explosion kam ein neuer Impuls, und dann… auch dazwischen.
Er sendete wieder. Der Koloss – das Symbol aller Nationen – lebte!

Taylor nickte wissend, und die Regierungschefs aller Länder jubelten. Hannes spürte, wie seine Muskeln langsam ermüdeten, doch er machte weiter. Nur noch ein paar Bomben.

Der Satellit war zurück im Leben, die Steuerung in Darmstadt bei der ESA funktionierte wieder. Alte Konsolen wurden entstaubt, ein verstaubtes Windows-Update lief noch fertig. Dann, nach all der Zeit, stand der Koloss wieder im Zentrum der Weltgeschehnisse.

Das Update war abgeschlossen. Die letzte Bombe explodierte. Hannelore reichte Hannes den wohlverdienten Blaubeertrunk, und alle verfolgten gebannt die Bewegungen des Satelliten. Der alte Freund, so lange vergessen, war wieder da – und sein Auftritt sollte sein letzter sein.

Er steuerte auf den Asteroiden zu, die Kontrolle so reibungslos, als hätte er genau auf diesen Moment gewartet: nicht als Kadaver durchs All zu treiben, sondern als Held, als Symbol, für das er gebaut worden war. Er stellte sich dem kosmischen Feind in eiserner Pracht und drängte ihn ab.

Der letzte Ausschlag, die letzten Daten – und auf dem Monitor formte sich ein Herz.

Dann war der Koloss zerstört, der Asteroid vertrieben und alle Sprengkörper der Welt vernichtet. Hannes musste noch drei Trainingsstunden geben und würde morgen vielleicht Muskelkater haben – oder auch nicht.

Die Welt war gerettet.
Und das Dosenpfand auch.


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